Linsenluxation (Luxatio lentis)

Die Verlagerung der Linse - Linsenluxation - Luxatio lentis

Als Linsenluxation wird eine vollständige oder unvollständige Lageveränderung der Linse weg von ihrem physiologischen Standort zwischen Regenbogenhaut und Glaskörper im Zentrum der Pupillaröffnung bezeichnet. Die Linse ist Teil des lichtbrechenden (dioptrischen) Apparates des Auges, zu dem bei den Säugetieren noch die Hornhaut (Kornea), das Kammerwasser (Humor aquosus) und der Glaskörper (Corpus vitreum) gehören. Durch ihre Formveränderung, die mit Hilfe des Ringmuskels (M. ciliaris) erreicht wird, wird die Brechkraft der Linse der Entfernung des anvisierten Objektes angepasst, so dass jederzeit ein scharfes Bild auf der Netzhaut (Retina) entsteht.
Eine Linsenverlagerung kann aufgrund der anatomisch inkorrekten Lage der Linse Veränderungen an anderen Strukturen des inneren Auges hervorrufen. Darüber hinaus ist die Luxatio lentis die häufigste Ursache für die Entstehung eines Glaukoms (grüner Star) bei der Katze, das dann als sekundäres Glaukom bezeichnet wird.

Anatomie

Hinsichtlich der Anatomie der Linse wird auf den Artikel über den grauen Star verwiesen. Wichtig zum Verständnis der Linsenluxation ist der Aufbau des Aufhängeapparates der Linse im Auge. Dieser besteht aus sehr dünnen Fäden, die als Zonulafasern bezeichnet werden, die von einem Muskel, dem Ziliarmuskel (M. ciliaris), entspringen und entlang des Linsenäquators an der Linsenkapsel anheften. Eine Anspannung des M. ciliaris bewirkt nun eine Erschlaffung der Zonulafasern und eine Entspannung der Linse, die sich abrundet und dicker wird, so dass das Auge auf "Nahsicht" eingestellt ist. Umgekehrt führt eine Entspannung des Ringmuskels zu einer Spannung der Fasern und einer Abflachung der Linse, so dass weiter entfernt gelegene Objekte scharf auf der Netzhaut abgebildet werden. Diesen Vorgang der Formveränderung der Linse bezeichnet man als Akkomodation. Durch einen bei Hund und Katze nur schwach ausgebildeten M. ciliaris sowie eine wenig verformbare Linse ist das Akkomodationsvermögen dieser Tierarten im Vergleich zu dem des Menschen deutlich geringer ausgeprägt.

Vollständige oder unvollständige Verlagerung der Linse - Linsensubluxation oder Linsenluxation

Grundsätzlich gilt es eine vollständige von einer unvollständigen Linsenverlagerung zu unterscheiden, wobei die vollständige Linsenverlagerung als Linsenluxation (Abb. 1 und 2), die unvollständige als Linsensubluxation bezeichnet wird. Bei der Linsenluxation kommt es zu einer Lageveränderung der Linse in die vordere Augenkammer (vordere Linsenverlagerung, Luxatio lentis anterior, Abb. 1) oder in den Glaskörperbereich (hintere Linsenverlagerung, Luxatio lentis posterior, Abb. 2). Bei der unvollständigen Linsenverlagerung kommt es zu einer Verlagerung der Linse nach oben (Subluxatio lentis dorsalis), unten (ventralis), zum inneren Augenwinkel hin (nasalis) oder zum äußeren Augenwinkel hin (temporalis). Zu unterscheiden ist weiterhin die primäre von einer sekundären Linsen(sub)luxation. Bei der primären Linsen(sub)luxation kommt es zu einem Zerreißen der Aufhängefäden durch entweder eine fehlerhafte Anlage (Dysplasie) oder einen Funktionsverlust (Degeneration) der Zonulafasern. Eine Lageveränderung der Linse infolge anderer Augenveränderungen wird als sekundäre Linsen(sub)luxation bezeichnet. Ursächlich können hierfür einerseits eine volumenmäßige Vergrößerung des gesamten Augapfels (Hydrophthalmus), wie z. B. bei einem chronischen Glaukom, andererseits entzündliche Veränderungen des vorderen Augenabschnittes (Uveitis anterior) sowie ein fortgeschrittener grauer Star (Katarakt) angeführt werden. Bei der Vergrößerung des Augapfels kommt es zu einem Zerreißen (Ruptur) der Zonulafasern schon alleine durch die volumenmäßige Ausdehnung des Auges, dem die Befestigungsfäden der Linse nicht standhalten können. Infolge einer Uveitis anterior werden die Fasern des Halteapparates der Linse durch die von der Regenbogenhaut (Iris) in das Kammerwasser freigesetzten Entzündungsprodukte so geschädigt, dass bei diesen ein entzündungsbedingter Funktionsverlust (Degeneration) eintritt, der schließlich zum Zerreißen der Zonulafasern führt. Dieser Krankheitsverlauf kann auch bei einem fortgeschrittenen grauen Star infolge einer Entzündung der vorderen Augenkammer durch in das Kammerwasser ausgetretenes Linseneiweiß ausgelöst werden. Darüber hinaus bedingt ein reifer oder überreifer grauer Star eine Schrumpfung der Linse, die dadurch ihrerseits die Zonulafasern wieder vermehrt spannt und bei der Überschreitung einer kritischen Zugkraft auch zu deren Ruptur führen kann.
Selten kommt es zu einer spontanen Ruptur (Zerreißen ohne erkennbare Ursache) von bis dahin unversehrten Fasern.


Abb. 1: Linsenluxation in die vordere Augenkammer 


Abb. 2: Linsenluxation in den Glaskörperbereich 


Die Linsen(sub)luxation tritt beim Hund wesentlich häufiger als bei der Katze auf. In der Literatur wird ein Verhältnis der beiden Tierarten von neun zu eins angegeben. Während bei der Katze v. a. Siamkatzen, Katzen über sieben bis neun Jahren sowie Kater betroffen sind, tritt die Luxatio lentis/Subluxatio lentis beim Hund vorwiegend bei kleinen Terrierrassen auf, bei denen diese Erkrankung erblich ist. Es sind hierbei v. a. der Jagd-, Tibet-, Welsh-, Fox- und Jack-Russell-Terrier betroffen.

Folgen der Ruptur der Zonulafasern

Die Auswirkungen der Ruptur der Fasern des Aufhängeapparates der Linse auf das Innere des Auges sind im Wesentlichen von der Anzahl der zerrissenen Fäden abhängig. Ist die Aufhängung der Linse über einen größeren Bezirk zerstört, so kann es bis zu einem gewissen Grad zu einer Lageveränderung der Linse kommen, die dann als Linsensubluxation (Subluxatio lentis) bezeichnet wird. Haben dagegen große Anteile oder alle Zonulafasern ihre Funktion verloren, kann die Linse entweder in ihrer anatomisch korrekten Lage verharren oder durch äußere Einwirkungen wie z. B. beim Hinauf- oder Hinunterlaufen von Treppen, Springen auf das Sofa oder vom Sofa hinab, Kopfschütteln oder Toben mit anderen Hunden in die vordere Augenkammer (Luxatio lentis anterior) oder in den Glaskörperbereich (Luxatio lentis posterior) verlagert (luxiert) werden. Sowohl bei der Ruptur einzelner Zonulafasern als auch bei einem vollständigen Zerreißen des Aufhängeapparates der Linse kann es zu einem Hervortreten des gelantinösen Glaskörpers (Corpus vitreum) in die vordere Augenkammer kommen. Man spricht in einem solchen Fall von einem Glaskörpervorfall. Der Glaskörper kann dann als feine wolkige Struktur im Bereich der Pupillaröffnung sichtbar werden und im vorderen Augenabschnitt bis in den Kammerwinkel, den Ort des Abtransportes des im Ziliarkörper (Corpus ciliaris) gebildeten Kammerwassers, gelangen. Einerseits wird somit der Abfluss des Kammerwassers durch den viskösen Glaskörper behindert, andererseits ist auch eine in die vordere Augenkammer verlagerte Linse rein mechanisch im Stande, die Drainagefunktion des Kammerwinkels mehr oder weniger stark einzuschränken, so dass die Kammerwasserpassage teilweise oder vollständig gestört wird. Die Folge ist die Ausbildung eines Sekundärglaukoms, welches sich bei der Katze wesentlich langsamer ausbildet als dies beim Hund der Fall ist. Somit kann eine Luxatio lentis anterior bei der Katze schon geraume Zeit bestehen, ohne dass es zur Ausbildung eines sekundären Glaukoms kommt.

Symptome

Die Symptome der vollständigen vorderen und hinteren Linsenluxation unterscheiden sich deutlich voneinander, wohingegen die der unvollständigen Linsenverlagerung und der vollständigen hinteren Linsenverlagerung für den weniger erfahrenen Untersucher zuweilen nur schwer differenzierbar sind. Gemeinsam ist allen Lageveränderungen der Linse, dass die in vielen Fällen vorgefallenen Glaskörperanteile im Bereich der Pupillaröffnung oder der vorderen Augenkammer erkannt werden können.
Bei der Linsensubluxation (Abb. 3) ist ein halbmondförmiger Bereich zwischen dem Rand der Pupille und dem Rand der subluxierten Linse sichtbar, in dem die Netzhaut auch ohne Hilfsmittel deutlich und klar erkannt werden kann. Da sich in diesem Bezirk keine Linse zwischen Hornhaut und Netzhaut befindet, wird dieses Phänomen als halbmondförmige Aphakie (Aphakie = ohne Linse) bezeichnet.


Abb. 3: Linsensubluxation 


Darüber hinaus ist die Linse durch den teilweisen Riss ihres Aufhängeapparates instabil und bei genauerer Betrachtung kann bei der Bewegung des Auges oder des gesamten Kopfes eine Schwingung der Linse erkannt werden, die als Linsenschlottern (Lentidonesis) bezeichnet wird. Da sich auch die Regenbogenhaut (Iris) infolge der dahinter gelegenen instabilen Linse mitbewegt, wird deren analoge Motilität Irisschlottern (Iridodonesis) genannt. Nicht selten bleibt eine Linsensubluxation, egal welche Ausrichtung diese auch haben sollte, unerkannt.
Die vordere Linsenverlagerung zeichnet sich durch eine meist vollständige Verlagerung der Linse in die vordere Augenkammer aus. In einigen Fällen ragt die Linse auch nur teilweise mit ihrem Äquator in den vorderen Augenabschnitt hinein, wohingegen der noch hinter der Pupillaröffnung verbliebene Bereich der Linse von der Regenbogenhaut zurückgehalten wird.
Bei der Luxatio lentis anterior (Abb. 4) ist die Linse als kugeliges, glasiges Gebilde unmittelbar hinter der Hornhaut in der vorderen Augenkammer liegend erkennbar, wobei je nach Lichteinfall der Rand der Linse deutlich sichtbarer erscheint als die Linse selber (Abb. 5). Iris und Pupille sind dabei meist nur schwer erkennbar.


Abb. 4: Linsenluxation in die vordere Augenkammer 


Abb. 5: Linsenluxation in die vordere Augenkammer 


Durch den Vorfall der Linse nimmt diese in der Regel Kontakt mit der Hinterfläche der Hornhaut, dem Hornhautendothel, auf. Dabei kann es je nach Dauer der Linsenverlagerung zu einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Schädigung der sehr empfindlichen Endothelzellen kommen, die sich auf einen zunächst noch umschriebenen, auf den Ort der Kontaktaufnahme begrenzten Bezirk erstreckt und in Form einer Hornhauttrübung erkennbar ist. Erst später kommt es zu einer Einwanderung von tiefen Gefäßen in die Hornhaut sowie zu einem generalisierten Transparenzverlust der Hornhaut. Die Hornhauttrübung ist durch den Einstrom von Kammerwasser in die Kornea infolge einer Beschädigung der Endothelzellen zu erklären und wird als Hornhautödem bezeichnet. Das Hornhautödem kann ebenfalls wie die Einsprossung der Gefäße in die Hornhaut wegen einer irreparablen Schädigung der inneren Auskleidung der Hornhaut auch nach einer chirurgischen Entfernung der Linse aus der vorderen Augenkammer dauerhaft bestehen bleiben.
Bei der hinteren Linsenverlagerung (Abb. 6) kommt es durch den Wegfall der Linse als Stütze der Iris zu einer Vertiefung der vorderen Augekammer, d. h. dass sich die Iris nach hinten (anterior) vorwölbt und die vordere Augenkammer daher voluminöser erscheint. Darüber hinaus kann es ebenso wie bei der Linsensubluxation zu einer Lentidonesis und Iridodonesis kommen, wodurch sich u. a. die oben schon erwähnte diagnostische Schwierigkeit der Unterscheidung der beiden pathologischen Lageveränderungen der Linse begründet. Darüber hinaus tritt je nach Absinken der Linse in den Glaskörperbereich eine mehr oder weniger stark ausgeprägte halbmondförmige Aphakie auf. Die Luxatio lentis posterior kann ebenso wie eine Linsenlubluxation über lange Zeit unbeobachtet bleiben oder durch den Vorfall von Glaskörper zu einem sekundären Glaukom führen.


Abb. 6: Linsenluxation in den Glaskörperbereich 


Therapie

Die Therapie einer vollständigen Verlagerung der Linse, unabhängig davon, ob die Linse nach vorne (anterior) in die vordere Augenkammer oder nach hinten (posterior) in den Glaskörperbereich luxiert ist, kann ausschließlich durch chirurgisches Eingreifen vorgenommen werden. Eine alleinige medikamentelle Therapie mit den unten aufgeführten Präparaten ist nur für den Fall medizinisch vertretbar, wenn ein schlechtes Allgemeinbefinden eine für die Operation erforderliche Narkose entweder vorübergehend oder dauerhaft verbietet. Die Linsenluxation stellt beim Hund immer einen okulären chirurgischen Notfall dar, der innerhalb von 48 Stunden zur Verhinderung eines größeren irreparablen Endothelschadens der Hornhaut und eines Sekundärglaukoms operativ versorgt werden muss. Wann ein entsprechendes Glaukom zur Ausbildung kommt, ist nicht vorherzusagen, daher sollte die Verlagerung der Linse möglichst schnell nach Diagnosestellung behoben werden. Diese Eile ist bei der Katze aufgrund der geringeren Gefahr der Entwicklung eines Sekundärglaukoms nicht in der Form wie beim Hund geboten.
Bis zu einer Operation sollte eine medikamentelle Vorbehandlung des Patienten erfolgen. Bei einer nach anterior verlagerten Linse muss zur Prophylaxe eines sekundären Glaukoms ein lokales oder systemisches Präparat zur Reduktion der Kammerwasserproduktion verabreicht werden. Die Luxatio lentis posterior erfordert die Verabfolgung eines lokalen Augenpräparates, das die Pupille verengt und somit eine Verlagerung der Linse in die vordere Augenkammer mit den damit verbundenen Auswirkungen verhindert.
Bei der chirurgischen Extirpation der Linse wird diese intrakapsulär aus dem Inneren des Auges entfernt, d. h. die Linsenrinde und der Linsenkern werden zusammen mit der verlagerten Linsenkapsel aus dem Inneren des Auges entfernt. Im Gegensatz dazu wird bei der Entfernung der grau getrübten Linse im Rahmen der Katarakt-Operation die an ihrem anatomisch korrekten Ort befindliche Linse extrakapsulär extrahiert, d. h. Linsenrinde und -kern werden entfernt, wohingegen die Linsenkapsel im Auge verbleibt.
Zur intrakapsulären Linsenextraktion wird die vordere Augenkammer halbkreisförmig am Übergang zwischen Hornhaut und weißer Augenhaut (Sklera), dem sogenannten Limbus, vorsichtig eröffnet. Im Anschluss daran kann die luxierte Linse mittels verschiedener Methoden und Hilfsmittel entfernt werden. Dies muss mit äußerster Vorsicht und Geschicklichkeit durchgeführt werden, da schon kleine Irritationen der feinen Strukturen im Inneren des Auges zu Blutungen von Seiten der Regenbogenhaut oder Netzhaut führen können, die die Prognose für das Auge wesentlich verschlechtern. Nach der Entfernung der Linse ist deren Verbindung zum Glaskörper in Form eines kleinen Bandes zu durchtrennen, um eine Verlagerung des Glaskörpers in die vordere Augenkammer zu vermeiden. Evtl. in den vorderen Augenbereich gelangtes Glaskörpermaterial ist vollständig zu entfernen, um einer späteren sekundären Glaukombildung vorzubeugen. Danach erfolgt die Naht der Hornhaut, deren Fäden etwa 14 Tage später wieder entfernt werden sollten (Abb. 7). Neben der sowohl systemischen als auch lokalen antibiotischen Versorgung des Patienten muss zumindest für die ersten Wochen ein die Pupille verengendes lokales Augenpräparat verabreicht werden, um einem postoperativen Glaskörpervorfall vorzubeugen. Darüber hinaus ist in den ersten Monaten nach der Operation eine regelmäßige Kontrolle sowohl des operierten als auch des gegenüberliegenden (kontralateralen) Auges inklusive einer Bestimmung des Augeninnendrucks durchzuführen, da sich eine Linsenluxation auch bei dem bisher noch gesunden Auge entwickeln kann.


Abb. 7: Zustand des Auges 14 Tage nach Operation 


© 08/2010

Dr. med. vet. Karl-Josef Saers: Fachtierarzt für Kleintiere, Fachtierarzt für Chirurgie, Zusatzbezeichnung Augenheilkunde; Dr. med. vet. Markus Bausch: Fachtierarzt für Kleintiere, Fachtierarzt für Chirurgie, Zusatzbezeichnung Augenheilkunde; Dr. med. vet. Susanne Saers: Zusatzbezeichnung Augenheilkunde

Tierärztliche Klinik für Kleintiere am Kaiserberg
Wintgensstraße 81-83, 47058 Duisburg
www.tierklinik-kaiserberg.de

Fotos

Dr. med. vet. Markus Bausch

Quelle


Symptome: Schmerz, Lichtscheue, Tränenfluss, Sichtbarkeit der verlagerten Linse, Hornhauttrübung, Iris und Linsen "schlottern", Druckanstieg wegen Durchflussblockade

Rassedisposition: (Jagd-)Terrier, Dackel, …

Erbgang: unbekannt; erbliche Schwäche des Aufhängeapparates

Behandlung: Operation (beidseitige Linsenextraktion)

Prophylaxe:
Zuchtausschluss

DNA-Test: nein


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