| | Da in letzter Zeit die verschiedensten Informationen aus unterschiedlichsten Quellen kursierten, möchten wir dazu beitragen, verunsicherten Hundebesitzern fundierte Erkenntnisse zu vermitteln. Mittlerweile wissen wir, dass das ursprünglich als Ivermectin-Empfindlichkeit bei Collies bezeichnete Phänomen verschiedene Arzneistoffe betrifft und auf einen Gendefekt zurückzuführen ist, der bisher bei Hunden verschiedener collieartiger Rassen nachgewiesen werden konnte. Das empfindliche Hirngewebe ist normalerweise durch die Blut-Hirn-Schranke davor geschützt, dass bestimmte Arzneistoffe ins Gehirn übertreten. Der so genannte MDR1-Gendefekt führt nun dazu, dass diese Schutzfunktion verloren geht. Dadurch können betroffene Hunde mit schweren Vergiftungserscheinungen am Nervengewebe reagieren. Diese zeigen sich in Bewegungs- und Koordinationsstörungen, Zittern, Benommenheit, Pupillenerweiterung, vermehrtem Speichelfluss und können im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen.
Geschichte Bereits aus den 80er Jahren kennen wir wissenschaftliche Berichte darüber, dass manche Collies auffallend überempfindlich gegenüber dem Antiparasitikum Ivermectin reagieren, das in der Tiermedizin in großem Umfang zur Entwurmung eingesetzt wird. Die betroffenen Tiere zeigen bereits bei einer Dosierung von 100 μg/kg gravierende Nebenwirkungen. Diese Dosis liegt weit unterhalb der Dosierung, welche von anderen Hunderassen (z. B. Beagle) problemlos vertragen wird. Daher ist das Ivermectin-Präparat IVOMEC® mittlerweile nur noch für die Therapie von Pferden, Schweinen und Rindern, nicht jedoch für Hunde zugelassen. In der Zwischenzeit sind vergleichbare Phänomene nach Verabreichung einer Reihe anderer Medikamente festgestellt worden. Hier wollen wir nun erklären, welche Problematik hinter dieser Gefährdung steckt.
Was bewirkt ein Defekt in der Blut-Hirn-Schranke? An der Grenze zwischen Blutgefäßen und dem Nervengewebe stellt der so genannte MDR1-Transporter eine Schutzbarriere für das Gehirn dar. Er ist ein Bestandteil der so genannten Blut-Hirn-Schranke. Der MDR1-Transporter sitzt normalerweise auf der Oberfläche der Endothelzellen. Das sind Zellen, welche die Wände der Blutgefäße von innen auskleiden. An dieser Stelle sorgt der MDR1-Transporter dafür, dass für das Gehirn giftige (toxische) Verbindungen und Arzneistoffe nicht ins Nervengewebe übertreten können. Besteht nun ein genetischer Defekt im MDR1, geht diese Schutzfunktion verloren und Substanzen wie Ivermectin können ungehindert die Blut-Hirn-Schranke passieren und ins Nervengewebe übergehen. Mittlerweile ist bekannt, dass nicht nur Ivermectin, sondern auch zahlreiche andere Arzneistoffe bei betroffenen Tieren bis zu 90-fach mehr ins Gehirn übertreten als bei Vergleichstieren mit intakter Blut-Hirn- Schranke. Zahlreiche Arzneistoffe (siehe Arzneistoff-Tabelle) können in diesem Fall in Kontakt mit dem Nervengewebe im Gehirn kommen und dort völlig unerwartete, unter Umständen auch gefährliche nervenschädigende Wirkungen entfalten.
Welche Hunderassen sind betroffen? Vor einigen Jahren sind die genetischen Sequenzen des MDR1 eines Beagles und eines Ivermectin-empfindlichen Collies untersucht worden. Zwischen beiden Sequenzen zeigt sich ein kleiner, aber doch erheblicher Unterschied: Während der untersuchte Beagle einen funktionsfähigen MDR1-Transporter bilden kann, fehlen in der genetischen MDR1-Sequenz des Ivermectin-empfindlichen Collies vier Erbbausteine. Dies führt dazu, dass der MDR1-Transporter gar nicht erst gebildet wird und die Blut-Hirn-Schranke damit einen Defekt aufweist. Allerdings tritt dieser Fall nur ein, wenn der Defekt im MDR1 sowohl von väterlicher als auch von mütterlicher Seite her vererbt wurde und somit homozygot ("reinerbig") vorliegt. Im Rahmen einer Studie zur Häufigkeit des MDR1-Defektes bei verschiedenen Hunderassen wurden von der Projektgruppe aus Gießen bereits über 1000 Hunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz getestet. Ein Defekt im MDR1-Gen wurde bisher bei verschiedenen Hütehunderassen gefunden: Collie (Kurzhaar und Langhaar), Shetland Sheepdog, Australian Shepherd, Border Collie und Wäller. In einer vergleichbaren Studie in den USA wurde der MDR1-Defekt zusätzlich bei folgenden Hunderassen gefunden: Hütehunde wie der English Shepherd, der Old English Sheepdog, der McNab, aber auch die Windhunde Longhaired Whippet und Silken Windhound. Alle diese Rassen haben gemeinsame Vorfahren, welche den Defekt weitervererbt haben.
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